Erlöst, Befreit
„PSCHT“ – die freundliche Bitte der Chorleiterin um Ruhe klingt nicht nur einmal an diesem Abend durch den Ballettsaal der Oper. Lachen, Begrüßen, Winken … Es ist zwar Probe angesetzt, aber es gibt einfach so viel zu erzählen und zu bereden, zu lachen und zu zeigen. Die Atmosphäre hat etwas von einem gut gelaunten Klassentreffen.
In diesen Wochen geht es um die Proben für die Oper „Hänsel und Gretel“ und für das Weihnachtskonzert mit dem Beethovenorchester am 23.12.2025. „Handys weg, Mappen weg, gerade Haltung – wir brauchen zum Einsingen nur unseren Körper und unsere Stimme“, Ekaterina Klewitz lächelt, wird aber nun etwas energischer. Sie setzt sich an den Flügel – und los geht’s mit den Aufwärmübungen.
„Bitte noch einmal, non-legato“
20 Minuten später. Das Einsingen ist beendet, die Kinder und Jugendlichen halten Noten aus „Hänsel und Gretel“ in der Hand. „Schließt eure Augen, stellt euch die Bühne vor und bringt Ausdruck in euer Gesicht“. Wie aus dem Nichts ertönt nun die bewegende Schlussszene. „Erlöst, befreit, für alle Zeit“ – der berühmte Abschlusschor aus dem dritten Akt der Oper von Engelbert Humperdinck. Wun-der-bar! – Aber nur für die beeindruckte Zuhörerin. Die Chorleiterin hat einen höheren Anspruch: „Singt es bitte noch einmal, non-legato. Und denkt dran: betont das ‚T‘. Erlös-T, Befrei-T, Zeit-T.“
Weiter geht es. „Wenn die Not aufs höchste steigt, Gott der Herr die Hand uns reicht!“ Die Chorleiterin bricht ab: „Vor ‚höchst‘ dürft ihr nicht atmen, erst nach ‚steigt‘.“ –„Noch einmal, und bitte viel Luft beim Einatmen – Nein, stopp, das war zu viel Atmen“. Lachen bei den Chorkindern.
Fünf Anläufe dauert es, dann sitzt die Passage. Sobald eine kleine Pause entsteht, schwirren andere Liedpassagen der Oper durch den Raum (die Rollen von Vater und Mutter, Hänsel und Gretel), und es wird mehr als deutlich: Der Chor kennt die komplette Oper auswendig, nicht nur den Part des Kinderchores.
„Sopranchen, bitte Takt 70“
„Okay, Pause. Wer in die Kantine geht, bitte ganz leise sein. Es ist Vorstellung im Haus“, mahnt Ekaterina Klewitz. Die Proben-Aufsicht geht mit einigen Kindern in die Kantine und zu den Toiletten, denn ohne Begleitung dürfen die jüngeren Kinder nicht durch die Gänge der Oper streifen. Wer bleibt, packt Brote aus, Getränkeflaschen werden geöffnet, Snacks ausgetauscht. Picknick-Feeling in dem mit grellem Neonlicht ausgeleuchtetem Ballettsaal. Kein Kind bleibt allein, drei Kinder posieren vor den langen Spiegelwänden, ein Kuscheltier wird gestreichelt, Anekdoten aus dem Unterricht an den Bonner Schulen werden zum Besten gegeben, manche plaudern mit der Dirigentin.
Nach der Pause geht es mit einem Lied für das Weihnachtskonzert weiter. Die Kantate „Vom Himmel hoch“ hat es in sich. Es ist eine anspruchsvolle Version des bekannten und volkstümlichen Weihnachtsliedes. Die Stimmen üben nun einzeln. „Sopranchen, bitte Takt 70“. – „Das ist ein ‚Des‘, macht euch einen Kreis um die Note, dann merkt ihr sie euch besser“. –„Ich brauche saubere Töne und richtigen Rhythmus. Text ist nicht so wichtig, noch nicht.“
Nach knapp 2 Stunden endet die Probe. Es gibt noch eine Hausaufgabe: Bis zur nächsten Probe soll der mittlere Teil der Kantate eingeübt werden. Ekaterina Klewitz singt dazu jede Stimme einzeln ein und wird eine Audioversion verschicken. Aber jetzt geht es erst einmal ´raus in den Abend. Die Probenaufsicht bleibt bei den jüngeren Kindern vor dem Bühneneingang stehen, bis auch das letzte Chorkind abgeholt worden ist.
Text: Inge Michels
Fotos: Inge Michels


