„Die vergangene Spielzeit hat enormen Spaß gemacht!“

Ein Interview mit Chorleiterin Ekaterina Klewitz

Sie haben in der vergangenen Spielzeit knapp hundert Kinder und Jugendliche auf Auftritte in  Opern, Musicals und Konzerten vorbereitet. Wie wichtig ist für Sie und den Chor die lange  Sommerpause, um neue Energie für die neue Spielzeit zu gewinnen? 

Klewitz: Eine Sommerpause ist für mich sehr, sehr wichtig. Die vergangene Spielzeit war außerordentlich intensiv, fast so wie drei Spielzeiten in einer zusammengefasst. Es gab keine freien Tage und kaum Zeit für die Familie und Freunde. Man kann sich danach nur wirklich gut erholen, wenn man richtig Abstand nimmt. Zum ersten Mal habe ich beschlossen, im Urlaub überhaupt nichts zu machen; nicht mal das, was ich sonst wirklich gerne mache. Ich habe  z.B. mein Strickzeug nicht zur Hand zu genommen, nicht gelesen, nicht gebacken, keine Nachrichten geschaut, keine Partituren studiert. Manchmal muss man sich dazu zwingen, einfach mal zu faulenzen und sich vollkommen zu entspannen – und das hat in diesem Sommer mal sehr gut funktioniert!

Zwei Musicals haben in der vergangenen Spielzeit die Zuschauer begeistert: „Hairspray“ und „Spring Awakening“. Was hat Ihnen selbst an der Arbeit dazu besonders gefallen? 

Klewitz: Die Arbeit zu „Hairspray“ und „Spring Awakening“ war sehr spannend. Bei „Hairspray“ haben nur Mitglieder aus dem Jugendchor mitgemacht und das hat die Arbeit erleichtert, denn die Jugendlichen sind eine eingespielte Mannschaft. Alle verstehen sich da gut und die Einstudierung klappt einfach viel schneller. Die Anforderungen waren dennoch hoch, denn die Gruppe hat gesanglich alles einstudiert, nicht nur die Lieder, die sie selbst auf der Bühne performt hat. Die Jugendlichen haben während des gesamten Musicals auch gesanglich aus den Kulissen unterstützt. Man konnte sie nicht immer sehen, aber sie haben das ganze Musical gesanglich mitgetragen. Das war harte Arbeit!

„Spring Awakening“ war wiederum ganz anders. Die Sängerinnen und Sänger kamen sowohl aus dem Jugendchor als auch aus dem sogenannten „Offenen Casting“. Das war etwas schwieriger, denn alle kamen mit unterschiedlichen gesanglichen oder schauspielerischen Erfahrungen; und sie hatten natürlich ganz eigene Vorstellungen darüber, wie das Stück umzusetzen war. Sie haben sich viel mit Gesang, Schauspiel und Tanz beschäftigt. Die Jugendlichen mussten auch als Team zusammenwachsen. Die Arbeit war sehr spannend und die Kooperation mit dem JTB hat es ermöglicht, auch neue Talente zu entdecken.

Was müssen die Jugendlichen vor allem mitbringen, um eine erfolgreiche Produktion zu ermöglichen: Talent oder Fleiß?

Klewitz: Ein schönes Sprichwort besagt: „Der liebe Gott gibt Brot, aber keine Zähne dazu, um zu kauen!“ Man braucht Talent und die Bereitschaft, sehr fleißig zu proben, um auf der großen Bühne zu glänzen.

Drei sehr junge Hauptchormitglieder waren an der Opernversion des Popalbums „Vespertine“ der isländischen Künstlerin Björk beteiligt, die letztes Jahr in Godesberg aufgeführt wurde.

Ja, und tatsächlich war auch „Vespertine“ natürlich ein echt spannendes Projekt, denn Björks Musik  auf der Opernbühne konnte ich mir zunächst nicht mal vorstellen. Die entstandene Partie zielte auf die 11-12 jährigen Jungs aus dem Hauptchor in dreifacher Besetzung. Die Jungs haben es sehr schön gemeistert. Besonders gut hat mir gefallen, dass sie  zusammengehalten und sich unterstützt haben. Sie waren immer zusammen in den Kulissen, bei den Proben und sogar während der jeweiligen Vorstellungen. Wenn einer gesungen hat, dann kamen die anderen Familien, um den Jungen zu unterstützen, der auf der Bühne stand. Die Jungs waren gemeinsam stolz und standen gar nicht in Konkurrenz zueinander, und das, obwohl sie sehr unterschiedlich sind. Sie mussten eine schwierige Partie, experimentelle Musik, sehr modern, sehr anders singen und sie haben das super gut gemacht.

Mozarts „Zauberflöte“ in der Inszenierung von Jürgen Rose hat auch in der letzten Spielzeit wieder einmal begeistert. Fällt es Ihnen schwer, Gewohntes loszulassen? Oder freuen Sie sich auf eine neue Inszenierung? Und: Wissen Sie vielleicht auch, mit wie vielen Mädchen und Jungs Sie im Laufe der vielen Jahre die Partien der „Drei Knaben“ einstudiert haben?

Klewitz (lacht): Das weiß ich wirklich nicht! Ich habe aber irgendwo eine lange Liste und da könnte ich ja mal durchzählen. Es waren meistens zwei Besetzungen, manchmal auch drei. Ja, es ist das Schönste, was diesen jungen Sängerinnen und Sängern passieren kann, dass man Mozart singen darf. Vor allem diese große, wunderbare klassische Oper, die natürlich jeder kennt; aber nicht jeder versteht, dass diese Knabenpartien so schwer sind. Es ist ganz egal, welche Stimme – die Partien sind alle schwer und sehr oft, wenn Kinder es dann nicht schaffen, übernehmen erwachsene Frauen diese Rollen.

Manche Dirigenten möchten tatsächlich dann auch gerne Knaben in der Rolle sehen. Es ist aber ein Glück, wenn alle wichtigen Voraussetzungen gegeben sind, wenn Knaben in dem Alter dann auch noch die geeignete Stimmlage beherrschen und ein gutes musikalisches Gehör haben und gut singen können. Oft sind die Jungs in diesem Alter aber im Stimmbruch, und dann geht es nun mal nicht mehr, oder die Stimmen sind noch nicht genug entwickelt für die große Bühne. Für mich zählt in diesem Fall immer nur die Qualität, und die ausgewählten Jugendlichen machen es immer sehr gut. Wenn die jungen Sänger und Sängerinnen qualitativ sehr gut singen und es ihnen Freude macht und die Musik fasziniert und das Publikum begeistert ist, dann haben wir alles geschafft! Zur zweiten Frage: Ich fand diese Inszenierung natürlich spektakulär, aber man braucht auch mal etwas Neues. Ich hoffe deshalb, dass die neue Inszenierung interessant wird und sich alle ganz neu begeistern werden.

Das Opernmagazin „Der Opernfreund“ hat kürzlich Kantschelis Oper „Musik für die Lebenden“ zur „Entdeckung des Jahres“ gekürt und außerdem den Kinder- und Jugendchor des Theater Bonn in der Kategorie „Beste Chorleistung“ gewählt. Das Magazin schrieb, dass der Chor, „der in ‚Musik für die Lebenden‘ mit erstaunlicher Präzision wesentliche Szenen bestritt und mit stilsicheren Solistinnen Betroffenheit erzeugte.“ Wie herausfordernd war die Arbeit am Ende der langen Spielzeit und was bedeutet Ihnen der Erfolg dieser nahezu unbekannten, großen Oper, in der „Ihre“ Chorkinder eine zentrale Rolle gespielt haben?

Klewitz: Ich bin sehr zufrieden, dabei war es eine der schwierigsten Partien. Für die Kinder war der Beginn sehr schwierig. Sie waren erst mal überhaupt gar nicht begeistert. Da gab es vorrangig hängende und langgezogene Töne und es galt, diese sauber zu singen; mit der Zeit konnte ich sie gut mitnehmen. Es gab in dem Stück auch ein sehr großes Solo für einen Knaben oder ein Mädchen, den „Blindenführer“, und diese Rolle wurde schließlich perfekt gesungen, obwohl diese Partie besonders schwer und anspruchsvoll war. Der „Blindenführer“ sang weitaus mehr als der „Blinde“ und führte die Handlung. Gemeinsam mit dem Kinderchor setzte der „Blindenführer“ die Rahmenhandlung um.

Die Qualität des Chores und die Kinder selbst sind durch dieses Stück doch sehr gewachsen, denn sie haben ein schweres Stück mit auf die Bühne gebracht und ganz fantastisch gesungen und gespielt. Ich sehe bereits jetzt, zu Spielzeitbeginn, wie jeder Einzelne durch dieses Stück gewachsen und auf ein neues Gesangsniveau gestiegen ist. Vielleicht unbewusst (Klewitz lacht), aber es ist so, und ich kann es merken.

Ich bin sehr happy, dass die Kinder diesen tollen Regisseur, Maxim Didenko, erlebt haben. Er hat wunderbar mit den Kindern gearbeitet. Ich bin natürlich auch sehr stolz darauf, dass uns das Opernmagazin ganz besonders gelobt und o herausgehoben hat.

Worauf freuen Sie sich in dieser neuen Spielzeit ganz besonders?

Klewitz: Also, ich freue mich derzeit besonders über die Wiederaufnahme von „Spring Awakening“. Das Musical ist das erste Kooperations-Stück des JTB mit der Oper. Ein großer Erfolg und immer ausverkauft. Es lohnt sich unbedingt, es zu sehen. Ich freue mich aber auch wieder auf das SWB-Weihnachtskonzert in der Kreuzkirche mit dem Beethoven-Orchester, denn das Konzert folgt einfach einer sehr schönen, langen Tradition. „Hänsel und Gretel“ erfreut uns alle bereits seit einer Woche; da sind Kinder als Kuchenkinder dabei, die nun ihr Debüt gegeben haben.

Ich bin auf „Othello“ sehr gespannt und auch auf die verbleibenden Aufführungen von Tosca! Es wird ein Gastspiel in Antibes, in Frankreich geben. Schließlich bin ich gespannt, ob wir wieder etwas Tolles mit dem JTB erarbeiten werden und auf das neue, sehr moderne Projekt „Awakening“, das im kommenden Jahr auf die Bühne gebracht wird. Es wird fünf Soli geben, die die Kinder ausfüllen müssen, darunter auch eine Sopranrolle und eine Rolle für einen jüngeren Knaben; dann wohl eine kleine Rolle für den Chor, und eventuell werde ich die Gruppe aus den Solisten zusammenstellen.

Am Schluss muss ich aber betonen, dass ich gerade in der vergangenen Spielzeit enormen Spaß an der Arbeit hatte und daran, so viele unterschiedliche, musikalische Aufgaben zu lösen. Wir hatten alles dabei: die große Wiener Klassik mit der „Zauberflöte“, Verismo mit „Tosca“,  Art-Pop mit Björks „Vespertine“, eine Märchenoper mit „Hänsel und Gretel“, Pop der 60-er Jahre und Rock-Musical mit „Hairspray“ und Spring Awakening, das Weihnachtskonzert mit polnischen Weihnachtsliedern, das Komzert von „Bürger für Beethoven“, klassisches Ballett mit dem „Nussknacker“ und dann zeitgenössische Musik mit „Musik für die Lebenden“ und schließlich das Kehrauskonzert. Es waren sehr große Herausforderungen, die wir gemeinsam perfekt gemeistert haben. Das war einfach großartig!

Das Interview führte Alexandra Ironside

Fotos: Volker Essler, Mette Michels, Annika Schneider